Geschichte

1913_Boswil

In der Zeit von 14 000 bis 8 000 v. Chr. haben sich erstmals sesshafte Siedler auf Boswiler Gebiet niedergelassen. Der bis zu 2,2 Kilometer lange, 1,5 Kilometer breite und bis zu vier Meter tiefe fischreiche Bünzersee und die zahlreichen Bäche am Osthang des Lindenbergs boten Gewähr für eine sichere Lebensgrundlage. Funde aus einem in den 1930er Jahren im «Heuel» nördlich von Boswil entdeckten Friedhof ermöglichten eine exakte Datierung in die Zeit zwischen 350 bis 325 v.Chr. Sie weisen darauf hin, dass in der Nähe eine keltische Siedlung gewesen sein muss. Verschiedene Mauerreste von Gutsbetrieben und Villen sind Zeugen aus der Römerzeit.

Die erste urkundliche Erwähnung ist in einem Rotulus des Grossmünsterstifts in Zürich festgehalten. Dieser Rotulus ist leider nicht datiert, wird nach neuesten Forschungen in die Zeit zwischen 874 und 887 angesetzt. Es handelt sich um einen Kellerhof in «Bozuuila» - uu als w zu lesen. Beim Namen Bozwila handelt es sich um eine seltene Kombination des althochdeutschen Eigennamens Bôt(rât) oder Buoz(frid) und dem lateinischen villa. Es ist der einzige von villa abgeleitete Ortsname im Kanton Aargau. Alle andern auf -wil endenden Orte im Aargau sind mit wîlare - von Weiler - und einem Personennamen verbunden.

Gegen Ende des 9. Jahrhunderts, zur Zeit des Karl III. (833-888) stand in Boswil eine Eigenkirche der Fraumünsterabtei Zürich. Die Fraumünsterabtei besass 924 in «Pozwila» einen «Kelnhof», welcher über ein weit über den heutigen Gemeindebann hinausreichendes Gebiet Verwaltungs- und Gerichtszentrum war. Auch die Chorherren des Grossmünsters Zürich waren damals hier sehr begütert. Einen Hinweis, dass in Boswil schon früh zwei Kirchen standen, finden wir 1111 bei der Vergabung der «oberen Kirche» (Martinskapelle) an das Kloster Muri.

Das Patronatsrecht mit dem Kirchensatz wechselte von den ursprünglichen Inhabern, dem Grossmünster und dem Fraumünster im 14. Jahrhundert zuerst an die Habsburger, um 1380 an die Ritter von Hallwil und 1483 an das Kloster Muri.

Auf dem Moränenhügel am östlichen Dorfrand stand zuerst eine Kirchenburg. Um 1500 errichtete das Kloster Muri den spätgotischen Käsbissenturm. Von Neubauten des Chors hören wir in den Jahren 1498 und 1696. Die Erweiterung von 1667 betraf zur Hauptsache das Kirchenschiff. Als im 19. Jahrhundert die Kirche zu klein war und auf dem Moränenhügel keine weitere Vergrösserung möglich war, liess die Gemeinde im Oberdorf durch den Solothurner Architekten Wilhelm Tugginer eine grosse neugotische Kirche errichten.

Am 21. Oktober 1890 erteilte Bischof Leonhard Haas der neuen Pankratiuskirche die sakrale Weihe und 1913 wurde südlich der Kirche das neue Pfarrhaus erstellt. Da die Gemeinde nicht zwei Kirchen unterhalten konnte, wurde die alte profaniert und die ganze Baugruppe - Kirche, Odilokapelle und Pfarrhaus - an Glasmaler Richard Arthur Nüscheler zuerst vermietet und 1918 verkauft. Nüschelers Erben veräusserten schliesslich die Liegenschaft an die Stiftung «Alte Kirche Boswil», die im Pfarrhaus ein Altersheim für Künstler einrichtete und in der Kirche Benefizkonzerte zu Gunsten des Betriebes veranstaltete. Dank mehreren Renovationen konnte die historische Baugruppe erhalten werden und die Institution erreichte mit ihrem Veranstaltungskalender auf hohem Niveau eine weltweite Ausstrahlung.

Seit dem Mittelalter konzentrierte sich die Besiedlung rund um die Kirche und längs des Wissenbaches. Alte währschafte Holzhäuser, viele in typischer Ständerbauweise, prägen heute noch das Dorfbild. Bei einem Dorfbrand im Jahre 1649 verbrannten 24 Häuser, der dritte Teil des Dorfes. In der Beschreibung des Kantons Aargau registrierte 1844 Franz Xaver Bronner, Kantonsbibliothekar, in Boswil 1049 Einwohner unter 54 Ziegel- und 57 Strohdächern.

Für die wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Entwicklung von Boswil waren die beiden Villmergerkriege und die daraus folgenden Massnahmen von grosser Bedeutung. Sowohl während der Bauernrebellion von 1653 als auch während des Ersten Villmergerkrieges von 1656 hing die durch Eid angelobte und schon während rund 250 Jahren bestandene Loyalität der Freien Ämter ihren Herren gegenüber an einem sehr dünnen Faden. Nach dem Sieg der Katholiken wurde dem Kommandanten der Truppen aus den Freien Ämtern Beat Jakob I. Zurlauben von Zug von der Tagsatzung zu Baden beauftragt, die Alarm- und Mobilmachungsorganisation neu zu ordnen. Die Gemeinden Boswil und Bünzen erhielten eine eigene Militärfahne, damit die Stellungspflichtigen bei einem künftigen Konflikt genau wussten, wo sie sich einzufinden haben. Das rechteckige seidene Fahnentuch mit den Abmessungen von 218 x 234 cm konnte 1999 aus dem Depositum des Landesmuseums Zürich zurückgeholt werden und ist im restaurierten Zu-stand im Foyer der Schulanlage ausgestellt.

Nach dem Ersten Villmergerkrieg behielten die katholischen innerschweizerischen Orte die Vorherrschaft in der Verwaltung der Freien Ämter. Durch die aufkommende Industrialisierung in den reformierten Orten wuchs die Bevölkerung überproportional im Vergleich zur katholischen Innerschweiz und damit auch die Interessenlage. Man stritt sich um Verwaltungshoheit. Aus dem Zweiten Villmergerkrieg vom 16. August 1712 gingen die reformierten Orte Zürich und Bern als Sieger hervor. Sie machten kurzen Prozess mit der Aufteilung der Oberen und Unteren Freien Ämter, zogen eine schnurgerade Linie von der Kirche Lunkhofen zum Hochgericht in Fahrwangen und markierten sie mit 16 grossen runden Marchsteinen. Diese Linie hatte zur Folge, dass Boswil in der Mitte durchschnitten und mit zweierlei Rechten verwaltet wurde. Von den Marchsteinen sind übrigens einige erhalten geblieben. Je einer steht an der Burlistrasse auf der Liegenschaft Bächler, vor dem Gasthof Sternen und in der Nähe der Salve-Regina-Kapelle an der Niesenbergstrasse. In privatem Besitz und als Brunnenstock umfunktioniert sind zwei Steine an der Oberdorfstrasse und am Kirchweg bei der Alten Kirche zu sehen.

Der Gemeindebann von Boswil umfasst heute 1172 Hektaren, davon sind 235 Hektaren bewaldet; 32 Hektaren sind Privatwald, 233 Hektaren gehören der Ortsbürgergemeinde. Zu Boswil gehören auch der in einer Bergmulde bei Buttwil eingebettete Weiler Weissenbach und der Sentenhof, ein ehemaliger Gutsbetrieb des Klosters Muri.

Die fruchtbaren Felder am sanft abfallenden Osthang des Lindenberges und in der Talsohle ermöglichten eine ertragreiche landwirtschaftliche Nutzung, weshalb während Jahrhunderten das Leben und das Dorfbild vom Bauernstand und von ländlichen Handwerksbetrieben, Mühlen, Schmieden, Sägereien, Wagnereien usw. geprägt wurden. Zwei Mühlen und zwei Sägereien nutzten bis vor der Elektrifizierung die Wasserkraft des Wissenbaches. Die Obermühle erzeugt heute noch mit Turbine und Generator Elektrizität für den Eigenbedarf. Die Sägerei in Weissenbach wurde vor kurzem von einem Verein historisch renoviert und wird derzeit als Schausäge und als bäuerliches Nebengewerbe geführt.

Erstmals in den 1870er Jahren und nochmals in den 1920er Jahren wurde das Bünzmoos - es ist durch Verlandung des oben erwähnten Bünzersees entstanden - durch die Tieferlegung und Kanalisierung der Bünz entwässert. Wo bis dahin lediglich Streue (Schilfgras) und vereinzelt Holz genutzt wurden, setzte nun der rationelle Abbau des Torfbodens ein, der auf einer Fläche von ca. 200 Hektaren eine Mächtigkeit zwischen zwei und sechs Metern aufwies. Den Torf verwendete man als Streue im Viehstall und zur Bodenverbes-serung in Gärten und Baumschulen oder in Form von luftgetrockneten «Torben» als Brennmaterial. Besonders während der beiden Weltkriege war infolge der fehlenden Kohle die Nachfrage nach «Torben» sehr gross. Nach der Urbarisierung der Moorgebiete setzte im Bünzmoos die intensive landwirtschaftliche Bewirtschaftung ein, und das Feldenmoos bei Unterniesenberg wurde aufgeforstet. Die Ortsbürgergemeinde - ursprüngliche Besitzerin - errichtete im Niedermoos und im Feldenmoos schöne Naturreservate.

In den 1930er und 1940er Jahre entstanden einige Torfausbeutungsbetriebe, welche mechanische Werkstätten und Transportunternehmungen nach sich zogen. Viele Einwohner fanden ihren Haupt- oder Nebenverdienst «i de Forre» wie das Bünzmoos umgangssprachlich genannt wurde. Im Jahre 1950 eröffnete die Kork AG, heute Alporit AG, eine Fabrik für die Herstellung von Bauisoliermaterial. Im Laufe der Zeit kamen weitere Industrie-, Gewerbe- und Handelsbetriebe dazu. Aus anfänglichen Familienbetrieben etablierten sich renommierte Unternehmungen wie die Armin Notter AG für Transportsysteme, die Hans Notter AG für Kanalservice, die Anogal AG, die Uninorm AG, die Tiefbauunternehmung Werner Abt AG und das Baugeschäft Bucher und Joho AG. Bei der Gründung der Landwirtschaftlichen Konsumgenossenschaft Boswil und Umgebung im Jahre 1887 haben sich Mitglieder des ganzen Freiamtes und der angrenzenden Teile von Luzern und Zug eingeschrieben. Zwischenzeitlich haben sich mehrere Gemeinden in eigenen Genossenschaften organisiert. Im Trend der Zeit liegend führten die Zusammenschlüsse wieder zu einem Geschäftsbereich weit über das mittlere Bünztal hinaus.

Autor: Benedikt Stalder

 

Quellen:

Kretz, Boswil-Freiamt im Spiegel der Vergangenheit, 1991; Kretz, Feldzeichen und Fahnen in den ehemaligen Freien Ämtern, 2000; Germann, Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Der Bezirk Muri, 1967.